Auch im Falle einer Enterbung steht den nahen Verwandten eines Erblassers ein gewisser Pflichtteil des Erbes zu. Wer pflichtteilsberechtigt ist, wie die Höhe des Pflichtteils berechnet wird und was es sonst dabei zu beachten gibt, erfahren Sie in diesem Artikel.
1. Was versteht man unter dem Pflichtteilsrecht?
Das Pflichtteilsrecht ist im § 2303 des BGB festgelegt. Es regelt, dass im Falle des Todes alle nahen Verwandten auf Forderung auch dann einen Teil des Nachlasses bekommen können, wenn sie laut Testament oder Erbvertrag vom Erbe ausgeschlossen wurden. Die sogenannte Testierfreiheit, die aussagt, dass ein Erblasser einseitig über seine Erben und seinen Nachlass bestimmen darf, wird also durch das Pflichtteilsrecht eingeschränkt. Das Erbrecht will mit dieser Klausel vor allem den nächsten Angehörigen wie Kindern, Elternteilen und Ehegatten eine Mindestbeteiligung am Nachlass sichern.
2. Wer ist berechtigt, Pflichtteilsrechte geltend zu machen?
Nicht jeder Angehörige hat das Recht auf einen Pflichtteil. Es gibt laut Gesetz genau drei Bedingungen, die ein Erbe erfüllen muss, damit er dieses Recht geltend machen kann.
- Er muss pflichtteilsberechtigt sein.
- Er muss einen Anspruch auf den Pflichtteil haben.
- Er muss den Anspruch innerhalb der gesetzlichen Frist geltend machen.
Diese drei Punkte sind ihrerseits auch wieder an bestimmte Bedingungen geknüpft. Das Pflichtteilsrecht kann nur geltend gemacht werden, wenn alle drei Bedingungen vollständig erfüllt sind.
In den nächsten drei Kapiteln wird geklärt, wann die Pflichtteilsberechtigung und der Anspruch auf den Pflichtteil jeweils bestehen und welche Verjährungen und Fristen es zu beachten gilt.
2.1 Bedingung 1: Pflichtteilsberechtigung
Zuallererst ist die Pflichtteilsberechtigung eines enterbten Angehörigen zu prüfen. Nach § 2303 BGB muss ein Angehöriger in einer der folgenden Beziehungen zum Verstorbenen stehen, um einen Pflichtteil geltend machen zu können:
- Direkter Abkömmling: Dazu zählen sowohl Kinder als auch Enkel und Urenkel des Erblassers. Enkel und Urenkel können jedoch nur dann Anspruch erheben, wenn ihre Eltern (bzw. und Großeltern) bereits verstorben sind. Für die Abkömmlinge des Erblassers gilt die Pflichtteilsberechtigung auch dann, wenn sie nichtehelich oder adoptiert sind.
- Ehepartner: Ein Ehepartner ist immer pflichtteilsberechtigt. Partner in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft werden genauso behandelt wie Ehegatten.
- Elternteil: Sind noch Elternteile des Erblassers am Leben, sind auch diese pflichtteilsberechtigt.
Geschwister und Großeltern haben dementsprechend keinen Anspruch auf den Pflichtteil. Diese können also keinen Anspruch auf die Pflichtteilsklausel geltend machen.
2.2 Bedingung 2: Anspruchsberechtigung
Der Anspruch auf den Pflichtteil ergibt sich aus der Rangfolge der Berechtigten. Diese werden in mehrere Ordnungen unterteilt, wobei die erste Ordnung einen höheren Anspruch hat als die zweite. Die folgende Infografik zeigt auf, wie die konkrete Rangfolge aussieht:
2.3 Bedingung 3: Einhaltung der Fristen
Das Pflichtteilsrecht kann nur dann von einem anspruchsberechtigten Erben geltend gemacht werden, wenn er alle geltenden Fristen für die Anspruchserhebung einhält. Grundsätzlich gilt, dass ein Erbe, nachdem er vom Tod des Erblasser in Kenntnis gesetzt wurde, genau drei Jahre Zeit hat, um seinen Pflichtteil einzufordern. Dabei gilt nicht das konkrete Datum der Zurkenntnisnahme, sondern der 31. Dezember des Jahres, in dem die Kenntnisnahme stattgefunden hat. Bekannt sein muss neben dem Tod des Erblassers auch die Information der erfolgten Enterbung.
Ist der Erblasser also im Jahr 2016 verstorben, das Nachlassgericht eröffnet das Testament jedoch erst in 2017, verjährt der Anspruch auf den Pflichtteil erst am 31.12.2020.
Es gibt jedoch auch Sonderregelungen, die im § 207 des BGB gesetzlich festgelegt sind. Diesem Paragraphen zufolge tritt diese Verjährungsfrist dann nicht ein, wenn die anspruchsberechtigte Person eine der folgenden Bedingungen erfüllt:
- sie ist jünger als 21
- sie befindet sich in einem Vormundschaftsverhältnis
- sie befindet sich in einem Betreuungsverhältnis
- sie befindet sich in einem Pflegschaftsverhältnis
3. Berechnung des Pflichtteils
Um auszurechnen, wie hoch der Pflichtteil ist, muss man verschiedene Größen kennen. Zum einen ist die Höhe abhängig vom Verwandtschaftsgrad zum Erblasser, zum anderen spielt der tatsächliche Nachlasswert eine Rolle. In den folgenden zwei Kapiteln wird geklärt, wie es sich im Einzelnen damit verhält.
3.1 Verwandtschaftsgrad
Wie unsere Infografik weiter oben im Artikel aufzeigt, haben nähere Verwandte des Erblassers einen höheren Anspruch als weiter entfernte Verwandte des Erblassers. Der Verwandtschaftsgrad steht im direkten Bezug zur Höhe des Pflichtteils, der geltend gemacht werden kann. Das liegt daran, dass der Pflichtteil immer genau die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ausmacht. Da sich der gesetzliche Erbteil nach dem Verwandtschaftsgrad richtet, ist dieser also entscheidend für die Berechnung des Pflichtteils.
3.2 Nachlasswert
Den tatsächlichen Nachlasswert zu bestimmen, kann teilweise eine komplizierte Angelegenheit sein. Für die Berechnung der Höhe des Pflichtteils ist es aber entscheidend, dass die Bestimmung sorgfältig durchgeführt wird. Nach § 2314 BGB kann für diesen Zweck ein Auskunftsbegehren gefordert werden, das ein Nachlassverzeichnis mit allen Aktiva, Passiva und Schenkungen aus den vergangenen 10 Jahren aufstellen lässt. Es ist jedem Erben erlaubt, Gutachter zu engagieren, die dieses Verzeichnis aufstellen. Darüber hinaus ist es auch möglich, die Aufstellung des Nachlassverzeichnisses von einem Notar beaufsichtigen zu lassen.
Handelt es sich voraussichtlich nur um einen kleinen Nachlass und gestaltet sich die Wertermittlung des Nachlasses als schwierig, kann es sinnvoll sein, sich mit den anderen Erben auf einen Nachlasswert zu einigen, der dann zur Berechnung des Pflichtteils verwendet wird. Ansonsten kann es nämlich passieren, dass die Kosten für die Wertermittlung die Höhe des Pflichtteils übersteigen. Ein Sachverständiger oder Gutachter, der den Wert eines Vermächtnisses bestimmen soll, kann unter Umständen nämlich sehr teuer sein.
3.3 Pflichtteilsrechner
Ist der Nachlasswert in voller Höhe bekannt, kann die Höhe des Pflichtteils ausgerechnet werden. Geben Sie dafür einfach in unser Tool Ihren Verwandtschaftsgrad sowie die Summe des Nachlasses ein, dann erhalten Sie die genaue Summe Ihre Anspruches.
4. Einforderung des Pflichtteils
Normalerweise kann der Pflichtteil erst im Falle des Todes eines Erblassers von seinem Erben eingefordert werden. Allerdings sieht das Gesetz auch eine Ausnahme vor, die eine Auszahlung zu Lebzeiten des Erblassers ermöglicht. Je nach dem, wann der Pflichtteil eingefordert wird, ergibt sich folgender Ablauf für die Inanspruchnahme:
4.1 Nach dem Tod des Erblassers
Stirbt ein naher Verwandter oder Ehegatte, von dessen Erbe Sie im Testament oder Erbvertrag ausgeschlossen wurden, greift der Pflichtteilsanspruch nicht automatisch. Wenn Sie durch die Testamentseröffnung die Information der Enterbung erhalten, ist es Ihnen innerhalb von drei Jahren möglich, Ihren Anspruch auf den Pflichtteil einzufordern. Hierfür ist es nötig, ein Auszahlungsbegehren in schriftlicher Form bei der Erbengemeinschaft vorzulegen, das beweist, dass Sie Berechtigter eines Pflichtteils sind. Um dies tun zu können, sollten Sie jedoch zunächst in Erfahrung bringen, wie hoch der Pflichtteil ist, den Sie ausgezahlt bekommen sollen. Falls sich die Erbengemeinschaft weigert, Ihnen Ihren Pflichtteil auszuzahlen, können Sie Klage erheben. Nähere Informationen dazu erhalten Sie im Unterpunkt 4.3.
4.2 Zu Lebzeiten des Erblassers
Im Erbrecht ist klar geregelt, dass der Pflichtteilsanspruch erst im Falle des Todes eingefordert werden kann, da das Recht dazu laut Gesetz erst dann überhaupt entsteht. Sollten Sie dennoch vorzeitig Ihr Pflichtteilsrecht geltend machen wollen, müssen Sie dies direkt mit dem Erblasser vereinbaren. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 6.
4.3 Klageweg
Wird Ihr Pflichtteilsrecht bei der Erbengemeinschaft von Ihnen eingefordert und wird diese Forderung missachtet, können Sie Ihr Recht auf den Pflichtteil einklagen. Dies geht jedoch auf keinen Fall zu Lebzeiten des Erblassers.
Zunächst muss der Streitwert ermittelt werden. Er ergibt sich direkt aus der Höhe des berechneten und erwarteten Pflichtteils, der geltend gemacht werden will. Eine Klage, bei der der Streitwert unter 5000 Euro liegt, können Sie bei einem Amtsgericht einreichen. Handelt es sich um einen höheren Wert, ist stattdessen das Landgericht zuständig für die Klage.
Kann keine Einigung stattfinden, kommt es zu einem klärenden Prozess, bei dem die Prozesskosten von der verlierenden Partei zu zahlen sind. Die Prozesskosten werden zusammengesetzt aus den Kosten für die Anwälte beider Parteien sowie aus den Gerichtskosten.
5. Auszahlung des Pflichtteils
5.1 Grundsätzliches
Der Pflichtteilsberechtigte muss die Auszahlung seines Pflichtteils schriftlich und ausdrücklich beim Erben oder der Erbengemeinschaft einfordern. Diese Forderung muss die berechnete Höhe des Pflichtteils und die Bankdaten des Berechtigten enthalten.
5.2 Stundung
Unter Umständen kann die Zahlung an den Pflichtteilsberechtigten gestundet werden. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn eine unbillige Härte vorliegt. Das bedeutet beispielsweise, dass der Erbe sein Haus verkaufen müsste, um den Pflichtteilsberechtigten den verlangten Betrag auszuzahlen. Eine Stundung kann beim Nachlassgericht beantragt werden.
5.3 Forderung von Verzugszinsen
Bei einer schuldhaften Verzögerung der Auszahlung eines Pflichtteilsberechtigten können Zinsen verlangt werden. Zuallererst muss jedoch mindestens eine Mahnung zugestellt worden sein, die eine Zahlungsfrist einräumt. Gegebenenfalls ist es auch möglich, eine gerichtliche Mahnung zustellen zu lassen. Sollte es zu einer Festlegung von Verzugszinsen kommen, betragen diese in der Regel 5 % über dem Basiszins. Weniger Zinsen fallen an, wenn bereits ein Teil der Auszahlung stattgefunden hat, da dann nur noch der restliche Betrag verzinst wird.
6. Verzicht auf den Pflichtteil
Es ist jedem Pflichtteilsberechtigten möglich, auf seinen Pflichtteil zu verzichten. Dies kann mithilfe eines von einem Notar beglaubigten Vertrag geschehen, der beinhaltet, dass auf jegliche erbrechtliche Ansprüche verzichtet wird. Gegebenenfalls kann mit Vereinbarung auch festgelegt werden, dass stattdessen eine Gegenleistung übermittelt wird. Müsste beispielsweise erst eine Immobilie verkauft werden, damit der Pflichtteil an den Erben ausgezahlt werden kann, kann schriftlich festgelegt werden, dass der Berechtigte stattdessen eine Abfindungszahlung in Höhe des Pflichtteils erhält.
Mithilfe einer Verzichtserklärung kann der Enterbte auf diese Weise schon zu Lebzeiten des Erblassers sein Geld bekommen. Außerdem können nach dem Eintritt des Todes keine Forderungen mehr gestellt werden, was die Erbengemeinschaft schützt.
6.1 Pflichtteilsergänzungsansprüche
Hin und wieder kommt es vor, dass der Erblasser vor seinem Tod Schenkungen an seine Erben durchführt, die letztendlich natürlich den Wert des Pflichtteils schmälern. In diesem Fall kann ein Pflichtteilsberechtigter Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen, die bewirken, dass alle Schenkungen, die es in den letzten 10 Jahren vor dem Tod des Erblassers stattgefunden haben, in die Berechnung des Pflichtteils miteinbezogen werden. Je kürzer eine Schenkung her ist, desto mehr wird sie anteilsmäßig bei der Berechnung berücksichtigt. Hier sehen Sie eine Übersicht:
- Die Schenkung liegt bis zu 1 Jahr zurück: 100 % Anrechnung
- Die Schenkung liegt bis zu 1 Jahr zurück: 90 % Anrechnung
- Die Schenkung liegt bis zu 4 Jahre zurück: 70 % Anrechnung
- Die Schenkung liegt bis zu 8 Jahre zurück: 30 % Anrechnung
- Die Schenkung liegt länger als 10 Jahre zurück: keine Anrechnung
6.2 Verhindern von Pflichtteilsforderungen
Es ist einer Erbengemeinschaft oder einem Alleinerben nicht möglich, aktiv zu verhindern, dass ein Pflichtteilsberechtigter seinen Erbteil erhält. Allerdings ist es unter Umständen trotzdem möglich, dass ein Pflichtteilsrecht verfällt. Diese Umstände gestalten sich folgendermaßen:
- der Pflichtteilsberechtigte hat gegenüber dem Erben ein vorsätzliches Vergehen begangen (Pflichtteilsentzug)
- die Verjährungsfrist ist abgelaufen
- es wurde vor dem Tod des Erblassers ein entsprechender Vertrag mit dem Pflichtteilsberechtigten geschlossen, der einen Pflichtteilsverzicht bestimmt.
- der Berechtigte ist erbunwürdig, weil er zum Beispiel das Testament gefälscht hat.
Kontaktieren Sie mich
Mein Team und ich stehen Ihnen per E-Mail und Telefon gern zur Verfügung.
Mehr Informationen über unsere Kanzlei
Wir stehen Ihnen mit vielen Informationen rund um unsere Kanzlei sehr gern zur Verfügung.
Kommen Sie einfach auf mich zu.
Ihr Fachanwalt für Erbrecht
Sie haben noch Fragen? Melden Sie sich jederzeit bei mir, sodass wir im persönlichen Gespräch alle Details klären können.